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Wiederholungszwang, Reinszenierung und Trauma Bonding

  • Autorenbild: brigit
    brigit
  • 11. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit
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«Viele emotional misshandelte Kinder bemühen sich ihr Leben lang um die Anerkennung durch andere (die sie als «Liebe» interpretieren). So begierig sind sie nach Liebe – und so überzeugt davon, dass sie sie nicht verdienen – dass sie die besten Kandidaten für Missbrauch in intimen Beziehungen sind.»

 

Andrew Vachss


Frühe Bindungserfahrungen prägen uns fürs Leben. Was unsere Bezugspersonen uns vermitteln, wird uns so vertraut, dass wir es unbemerkt überall suchen und herstellen. Unsere Vergangenheit spielt in alles Neue hinein. Unsere frühen Prägungen formen unser Menschenbild, unser Weltbild und unser Selbstbild. Man spricht auch vom «hochautomatisierten Vertrautheitsgedächtnis». Unser System tut alles, um Sicherheit herzustellen, es geht schlussendlich ums Überleben. Was uns vertraut ist, ist für unser System sicher.

 

Der Wiederholungszwang ist die Dynamik der Psyche, die «erwachsene Kinder» unbewusst dazu zwingt ihr Leben lang, immer wieder dieselben schmerzhaften Situationen und Erfahrungen zu wiederholen und die gleiche verletzende und missbräuchliche Art zu ertragen und hinzunehmen, wie wir sie als Kind erlebt haben. Es gibt zwei unbewusste Mechanismen, die dazu führen: Erstens geben wir den Erfahrungen, die unsere Glaubenssätze bestätigen mehr Gewicht. Und zweitens führen wir unbewusst Umstände herbei – Reinszenierung - die zu realen Ereignissen führen und uns erneut bestätigen, dass unsere Glaubenssätze richtig sind.

 

Elterliche emotionale und/oder physische Misshandlungen sowie emotionale und/oder physische Vernachlässigung, also frühe Traumata, zwingen uns quasi dazu, uns in die Reinszenierung zu begeben. Traumata sind keine «Störungen» - sie sind eine Anpassung unseres Systems an eine unsichere und unberechenbare Umgebung. Bindungstraumata entstehen oft leise: durch emotionale Abwesenheit, Unzuverlässigkeit, fehlende Co-Regulation – nicht nur durch Gewalt.

 

Durch das schwach entwickelte Selbstwertgefühl aus der Kindheit «geben» Menschen als Erwachsene ihren Partnern unbewusst alle Macht. Sie nehmen es hin, für alle Probleme verantwortlich gemacht zu werden, übernehmen die ganze Verantwortung für die Beziehungsarbeit und akzeptieren es vernachlässigt zu werden. Oft ist ihnen gar nicht bewusst, dass wirklich liebende Partner respektvoll, kompromissbereit und gewillt sind ihren Beitrag zur Bewältigung von Problemen und Fragen in einer Beziehung zu leisten.

 

Der Wiederholungszwang kann uns auch dazu veranlassen den Partnern gegenüber eine «überfürsorgliche» Rolle zu übernehmen. Wenn man einen Co-Abhängigen Elternteil erlebt hat, wird dieses Verhalten oft imitiert und es werden regelmässig eigene Bedürfnisse geopfert, um sicherzustellen, dass es den Partnern gut geht. Durch eine Kindheit, welche Selbstausdruck und kindliche Rechte verweigert, haben Menschen als Erwachsene grosse Mühe sich auszudrücken und auf ihre Rechte zu bestehen.

 

All diese Erfahrungen meisseln unbewusste innere Gesetze und Glaubenssätze in unser Innerstes ein, nach denen wir unser Leben gestalten.Der Wiederholungs-zwang ist so selbstverstärkend wie alle anderen Zwänge. Dadurch bleiben wir so lange stecken, bis wir das Trauma integriert und aufgearbeitet haben.

 

Eine weitere Stufe dieser Dynamik ist das Trauma Bonding. Wenn Kinder Opfer von emotionaler und/oder physischer Gewalt, Demütigungen und (sexuellem) Missbrauch geworden sind, genügen räumliche und zeitliche Distanz nicht, um diese Erlebnisse loszulassen. Unbewusst von den Traumata aus der Kindheit beeinflusst suchen und finden diese Menschen als Erwachsene immer wieder Partner, welche sie schlecht behandeln.

 

Typisches Verhalten von Tätern in traumatischen Bindungen:

 

-       Einfordern von Unterwerfung

-       Kontrolle, Zwang und Manipulation

-       Schüren von Selbstzweifeln

-       Unterdrückung der Autonomie

-       Aufrechterhaltung von Konflikten

-       Isolation des Opfers

-       Strategische Gefühlsbekundungen

-       Ausnutzen von Schwachstellen

 

Quelle: Meghan Koch, Women of Intimate Partner Abuse, Traumatic Bonding Phenomenon, 2018

 

Die Opfer bemühen sich bis zur Selbstaufgabe, ihrem Partner alles recht zu machen, ihm keinen Anlass für Wut und Erniedrigungen zu geben und ihn dazu zu bringen wieder der liebevolle Mensch zu werden, dem sie sich mal verbunden gefühlt haben. Nach jeder Eskalation beteuert der Täter, seine «Ausraster» zu bereuen und in Zukunft alles besser machen zu wollen. Die Opfer geben immer wieder neue Chancen, auch wenn sie immer wieder enttäuscht werden, sind sie nicht fähig sich zu trennen. Sie sind gefangen in einer traumatischen Bindung.

 

In der Forschung gibt es keine allgemein gültige Definition des Begriffs Trauma Bonding. Es herrscht aber Einigkeit darüber, dass verschiedene Faktoren zusammenwirken: ein Machtungleichgewicht zwischen Opfer und Täter, wiederkehrender Missbrauch/Misshandlungen, unvorhersehbarer Wechsel zwischen Belohnung und Bestrafung.

 

Die Partner verhalten sich in traumatischen Beziehungen wie Schlüssel und Schloss: eine Seite begibt sich in eine abhängige, unterlegene Position, die sie schon aus Kindertagen kennt. Die andere Seite nimmt die dominante, kontrollierende Rolle ein – ebenfalls aus frühkindlichen Mustern erlernt.

 

Ein zentraler Faktor ist die Unvorhersehbarkeit und emotionale Achterbahnfahrt. Diese Unberechenbarkeit führt dazu, dass der betroffene Partner in einem ständigen Zustand der Verwirrung lebt und sich nach den «guten Zeiten» sehnt, die immer wieder kurz aufblitzen. Dieser ständige Wechsel zwischen Stress und Belohnung wirkt wie eine Sucht und macht es besonders schwer, sich zu lösen. Betroffene übernehmen und geben sich oft selbst die Schuld und bleiben in der Beziehung, in der Hoffnung, dass sich alles wieder zum Besseren wendet.

 

Trauma geschieht in Beziehungen und Trauma heilt in Beziehungen. Im Coaching betrachten wir diese Muster und gestalten eine therapeutische Beziehung, in der neue und gesunde Beziehungserfahrungen erlebt werden können.

 

 
 
 

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Brigit Leicht | Gewerbestrasse 12 | 8132 Egg bei Zürich | Schweiz | brigit@brigit.ch

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